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Wer sind sie und was machen Sie?
Ich bin Kunsthandwerker mit einer Ausbildung als Handsticker. Eigentlich hat es
mit Textilien angefangen, aber das feine Arbeiten mit den Händen ist bei Taschen
und Accessoires, die ich heute mache, nicht unwichtig. Oft geht es darum, die
Sachen, die in die Jahre gekommen sind, wieder in den vorzüglichen Zustand zu
bringen, ohne dass man die Reparatur sieht.
Wie groß ist der Anteil der Reparaturen?
Leider ziemlich groß. Ich bin ja auch Dienstleister und muss mich nach den
Kundenwünschen richten. Ich möchte aber auch Leute, die eine Ewigkeit
händeringend jemanden für eine Reparatur suchen, glücklich machen.
Wie kamen sie dazu?
Ich habe im Kunstunterricht in meiner Schule in Berlin die Stickerei
kennengelernt und dann einen Ausbildungsbetrieb gesucht. Nach einem Praktikum
in Regensburg wurde ich übernommen. Und am Ende der Ausbildung wurde ich in
Berlin von der Kunsthandwerkerin Lova Rimini entdeckt. Sie hat ein unglaubliches
Händchen und Gespür für die Stickerei, aber auch ein Auge für begabte Leute,
die einen Push in die richtige Richtung brauchen. Damals war ich Anfang 20.
Sie sagte zu mir: Du musst deine Stickereien auf Taschen bringen! Das war auch
immer mein Anspruch gewesen. Wenn ich schon kein Künstler werden kann, weil der
Markt gesättigt ist, will ich lebendige Kunst machen. Denn Taschen und
Accessoires sind Oberflächen, die in die Welt und den Alltag getragen werden.
Es ist nicht kulturelle oder bildende Kunst, die an den Wänden hängt. Sie lebt.
Außerdem kann ich die Sachen Menschen auf den Leib maßschneidern. Sie können
etwas aussuchen und überlegen, was sie sich wünschen. Gerade bei größeren
Projekten ist es schön, sie mit ins Boot zu holen. Das ist für die meisten
relativ neu, aber da merke ich, wie die Augen anfangen zu leuchten und es den
Menschen Spaß macht.
Macht das Ihr Handwerk einzigartig?
Absolut. Gerade Menschen, die etwas vorsichtig sind und meinen Laden nicht
kennen, versuche ich, viel zu erklären. Damit sie das Gefühl haben, dass sie
mitgenommen werden. Sie sollen das Material sehen, es anfassen können und eine
Vorstellung davon bekommen, wie es am Ende ausschaut. Ich habe den Eindruck,
dass ich schon viele Menschen über den Maßen glücklich gemacht habe. Es geht
auch um den Respekt vor Taschen, die zum Beispiel seit 20 Jahren benutzt werden.
Diese muss ich mit Vorsicht behandeln, damit die Kunden wirklich das Gefühl
haben: Das passt wieder zu mir.
War es schwierig, die Selbstständigkeit aufzubauen?
Am Anfang schon. Man springt ins kalte Wasser und wird noch gar nicht
wahrgenommen. Auch ein kleines „Hauen und Stechen“ gibt es auf dem Markt, viele
Einzelkämpfer und keine Community, wo man zusammenarbeitet und sich austauscht.
Ich merkte tatsächlich, dass relativ viele Türen zugeflogen sind, als ich
plötzlich selbstständig war. Da hatte ich großes Glück, dass Jürgen Meier von
der Schuh Bar mich an die Hand genommen hat. Ich durfte Material für meine
Projekte aussuchen, die Maschinen benutzen. Er war da wahnsinnig offen und
hilfsbereit. Auch dass ich meine Taschen in sein Schaufenster stellen konnte,
war eine gute Starthilfe. Trotzdem musste ich immer irgendwelche Nebenjobs
machen: im Frachtzentrum der Post arbeiten oder als archäologischer
Ausgrabungsgehilfe.
Das macht sich gut im Lebenslauf!
Brauche ich zwar jetzt nicht mehr, aber da mir ist zugutegekommen, dass das sich
penibel und auf den Millimeter genau gearbeitet habe.
Aber die Selbstständigkeit war schon immer ein Ziel?
Als es noch nicht so gelaufen ist, dass ich mich davon habe ernähren können,
habe ich schon in andere Bereiche hineingeschnuppert. Kinderpflege und
Kindergärtner zum Beispiel. Aber das ist gefloppt. Und ich habe gemerkt,
wie festgefahren die Hierarchien dort sind, wie ungern frischer Wind gesehen
wird und dass ich im sozialen Bereich zu viel nach Hause mitnehme.
Dann habe ich anderthalb Jahre als Herrenschneider gearbeitet und parallel als
freier Mitarbeiter in der Schuh Bar. Das könnte ich heute auch machen, aber die
Ausstattung habe ich nicht. Ich vermisse zum Beispiel eine Bügelstation, aber
dann würde ich nicht mehr aus dem Laden herauskommen. Das war in meinem früheren
Laden so, dass ich da teilweise zwölf Stunden am Tag gearbeitet habe. Selbst
nachts saß ich im Laden, weil tagsüber dauernd Kunden hereinkamen.
Hatten Sie Mitarbeiter?
Das war mir zu heikel. Bei den aufwendigen Projekten hätte ich mich niemals
getraut, jemanden anderen die Familienerbstücke, Louis Vuitton- oder
Gucci-Taschen in die Hand zu drücken. Damit muss man vorsichtig arbeiten.
Außerdem müsste man eine lange Vorlaufzeit bei Aufträgen haben und einen hohen
Umsatz, um auszubilden oder Mitarbeiter einzustellen. Das bringt auch sehr viel
Bürokratie mit sich, wodurch letztendlich die Kreativität leidet. Sobald man
anfängt zu expandieren, wird es ein Fass ohne Boden. Das ist ein Wahnsinn!
Das würde auch bedeuten, dass man irgendwann Abstriche bei der Arbeit, beim
Material oder bei der Qualitätskontrolle machen muss.
Nachvollziehbar. Aber schade, weil Sie Ihr Können nicht weitergeben.
Das ist schwierig. Ich wüsste auch nicht, wo man da ansetzen sollte. Ich komme
ja aus dem Textilbereich, was mein Vorteil ist, weil ich die Sachen unorthodox
angehe. In der Ausbildung muss man sich an Vorgaben halten, die aber teilweise
30 oder 40 Jahre alt sind. Die Feintäschner heute haben das Knowhow noch aus
einer anderen Zeit, als Themen wie Kunstleder und Oberflächenbeschichtungen
nicht zum Tragen kamen. Das sehe ich bei Reparaturen: Sie verzweifeln teilweise
an den neuen Materialien und Schnitten – und gehen mit ihrem veralteten Wissen
heran. Das tut den Taschen wirklich nicht gut. Ich weiß zum Beispiel genau, wie
ich welches Material verstärken muss, wenn etwas gebrochen ist. Oder sie denken
zu sehr an Maschinen. Schneidereien überlegen immer, wie sie ein Problem mit der
Maschine lösen können. Sie würden niemals auf die Idee kommen, es mit der Hand
zu lösen. Das ist faszinierend: Wenn in einer Daunenjacke zum Beispiel eine Naht
unter der Achsel aufspringt, kommen sie nicht darauf, es mit der Hand von außen
zu nähen, was viel unauffälliger und schneller wäre als mit der Maschine.
Sie arbeiten bis zu 40 Stunden an einer Tasche. Wie schaffen Sie das?
Das weiß ich auch nicht. Man fängt irgendwie an und arbeitet Stück für Stück. Zum Beispiel sieht man eine interessante Form an der Supermarktkasse – ein Kinderspielzeug oder ähnliches – und denkt: Das wäre aber eine interessante Tasche! Dann würfelt man rum: Welche Träger könnten dazu passen, wie kann die Konstruktion aufgebaut sein? Erstmal mache ich die Schnittschablone aus Karton. Dann folgt ein Prototyp aus einem formstabilen Material, wie Filz. Ich muss überlegen, wie die Tasche zusammengesetzt wird, das geht in den ästhetischen Designbereich. Sie soll optisch interessant sein, sich gut anfühlen, Tragekomfort und einen praktischen Wert haben. Ich gebe schon bei Prototypen Vollgas und nähe alles von Hand. Meine Taschen sollen sich von der breiten Masse abheben, deshalb mache ich absichtlich komplizierte Sachen. Das könnte man auch nie kopieren, weil man dafür eine Engelsgeduld braucht, wenn ein einzelner Stich – von vielleicht 150 Stichen – zwei Minuten dauert. Mir reicht es auch nicht, wenn der Taschenkörper vernünftig aussieht. Ich brauche noch ein interessantes Oberflächendesign, am besten Stickerei oder etwas mit Metallteilen. Das ist es auch, was die Kunden am Ende wahnsinnig entzückt. So etwas sehen sie sonst nie auf Taschen. Aber für eine Stickerei-Brosche brauche ich mit der Hand locker ein Wochenende, das wird auch oft unterschätzt. Oder man flechtet drei oder vier Stunden die Träger. Aber diese Taschen tragen mein Label – und das ist etwas, was mich wahnsinnig freut. Es gibt meine Taschen in Paris, Japan und in Amerika. Bei den Japanern hat es mich besonders gefreut, weil sie ganz anderes Verhältnis zum Handwerk und Ästhetik haben. Aber auch in Regensburg habe ich besondere Kundinnen, für die ich zum Beispiel Brillenetuis aus Straußenleder oder ein Echsenleder-Armband für eine Cartier-Uhr machen durfte. Wenn diese Wertschätzung da ist, macht es auch Spaß, den Menschen eine Freude zu machen.
Wie schafft man es heute, als Feintäschner erfolgreich zu sein?
Die Ausdauer ist wahnsinnig wichtig. Durch meinen familiären Background wollte ich eigentlich Kunst machen. Aber der Kunstlehrer am Gymnasium meinte damals: Vergiss es, du hast nicht das überbordende Talent und dir fehlt das Vitamin B. Außerdem ist ein Kunststudium wahnsinnig teuer. Aber man braucht einen Fixstern vor Augen und den Willen, dahin zu kommen. In der Schule hatten wir in der Turnhalle den Spruch hängen „Man muss das Unmögliche anstreben, um das Mögliche zu erreichen“. Es war zwar auf den Sport gemünzt, aber es ist eine schöne Lebensweisheit. Wenn man diesem Ideal entgegenstrebt, guckt man nach ein paar Jahren zurück und sieht, was für eine Wegstrecke man eigentlich zurückgelegt hat. Wie viele Probleme man im Fahrwasser dessen gelöst hat. Wichtig ist es auch, dem eigenen Fixstern zu folgen und nicht von anderen Menschen vom Weg ablenken zu lassen. Leider geht mit den Jahren die wilde schöpferische Energie verloren. Da muss man mit sich ins Gericht gehen: Ist das Geldverdienen wichtiger oder dem Ideal zu folgen? Dazu braucht man Leidenschaft und einen langen Atem. Mit der Zeit merken das auch andere Menschen. Ein Ideal für mich ist, dass meine Taschen mich überleben. Und davon habe ich schon einige geschafft.
Was würden Sie tun, wenn sie nicht mehr arbeiten müssten?
Dann wäre ich wahrscheinlich stinkefaul, würde erstmal bis mittags schlafen und dann den Computer anmachen. Dann wäre auch schon Nachmittag und man merkt, dass man einkaufen muss. Im schlimmsten Fall würde jemand anrufen, da müsste man etwas kippen gehen. Das ist auch kurios: Früher habe ich nebenbei noch Party gemacht, aber auch bis 3 Uhr nachts gearbeitet. Weil mich nach 22 Uhr niemand mehr angerufen hat. Dieses ungestörte Arbeiten war ein unbeschreiblich schönes Gefühl. Das fehlt mir mittlerweile sehr. Durch die Nüchternheit des Alltags ist es, als ob ich, statt zu tauchen nur an der Oberfläche schnorchele, weil man die Sicherheit braucht.
Letzte Frage: Was haben Sie heute noch vor?
Ich muss jetzt ein bisschen die Hufe schwingen und zur Post, dann werde ich mit Freunden ins Hinterland flüchten. Vielleicht mache ich auch mit diesem kleinen Schmuckschatüllchen hier noch weiter – auch von einer ganz süßen Kundin, der ich schon ganz viel Freude machen durfte. Am Ende des Jahres habe ich tatsächlich Zeit für kreative Geschichten. Oder ich zeichne drei Tage lang, ohne eine Nadel in die Hand zu nehmen. Da freue ich mich das ganze Jahr darauf.
Vielen Dank Markus für das Gespräch!
Wer nun noch die Handgefertigten Werke Mosdzens sehen möchte, findet hier seinen Internetauftritt:
www.mosdzen.de
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